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Frankreich "füttert" Faserfraktionen - von Rohfaser verabschieden?

Dr. Heinrich Kleine Klausing


Es ist in den letzten Jahren in Deutschland rund um die Forschung in der Kaninchenfütterung sehr ruhig geworden. Anders in Frankreich. Hier wird seit einigen Jahren beim INRA (Institut National de la Recherche Agronomique) an der Station de Recherches Cunicoles durch Dr. Thierry Gidenne und Mitarbeiter intensiv der Frage nachgegangen, welche Rolle verschiedene "Faserfraktionen" in der Kaninchenernährung für die Verdauung und zur Vorbeuge von Verdauungsstörungen spielen. Die französischen Wissenschaftler empfehlen heute auf Basis ihrer Erfahrungen, nicht mehr länger nur die "Rohfaser" zu betrachten, sondern verschiedene "Faserfraktionen" in die Bewertung einzubeziehen. Besonders wichtig sind dabei die Lignocellulose (wenig verdaulich) und die sogenannten "verdaulichen Fasern", unter denen Hemicellulosen und Pektine zusammengefasst werden. Diese Empfehlungen sollen hier nun näher vorgestellt werden.

"Faserfraktionen" im Blick

Das Kaninchen ist aufgrund seiner Besonderheiten im Verdauungssystem sehr gut vorbereitet, relativ große Mengen eigentlich geringverdaulicher pflanzlicher Futtermittel aufzunehmen und für Erhaltung und Leistung zu verwerten. Über die Fermentation im Blinddarm, der etwa 49 % des Gesamtvolumens im Verdauungstrakt ausmacht, werden Futtermittel mit relativ niedriger Nährstoffkonzentration und recht hohen Rohfaseranteilen energetisch genutzt. Allerdings ist das Kaninchen für eine funktionierende Verdauung und damit Gesunderhaltung auch auf die gezielte Unterstützung der Bakterienflora im Blinddarm angewiesen. Die wichtigsten Kriterien sind dabei die Sicherstellung eines Mindestgehaltes an diätetisch hochwertigen Strukturkohlenhydraten ("Faserfraktionen") in der Tagesration und die Begrenzung des Gehaltes an leicht löslichen Kohlenhydraten, vor allem Stärke.

In Deutschland praxisübliche Empfehlungen zur Versorgung der Kaninchen mit den diätetisch wichtigen "Faserfraktionen" beziehen sich nach wie vor auf die "Rohfaser". Hierbei handelt es sich um eine analytisch im Rahmen der Weender Analyse im Labor recht einfach zu erfassende Fraktion. Allerdings ist die "Rohfaser" eine von Futtermittel zu Futtermittel sehr unterschiedlich zusammengesetzte Größe. So schwanken die darin u.a. erfassten Faserfraktionen Cellulose mit 30-100 %, Pentosane mit 14-20 % und Lignin mit 16-90 % erheblich, je nachdem, welches Einzelfuttermittel untersucht wird. Diese analytische Größe ist daher als Kriterium für Empfehlungen zur gezielten Versorgung der Kaninchen mit "Faserfraktionen", die die Verdauungsabläufe im Blind- und Grimmdarm optimal unterstützen, wenig geeignet (Gidenne, 2003). Eine wesentlich differenzierte Betrachtung und Beurteilung der Strukturkohlenhydrate bieten hier die von van Soest (1991) beschriebenen analytischen Methoden. Hiermit werden die Strukturkohlenhydrate differenzierter erfasst und können in die nachfolgend dargestellten Fraktionen unterteilt werden.

NDF: "Neutrale Detergentien Faser" ("Neutral Detergent Fiber")
In dieser Fraktion sind die im Futter enthaltenen Hemicellulosen, die Pektine, die Cellulose und das Lignin zusammengefasst. Die NDF repräsentiert im Wesentlichen die pflanzlichen Zellwände. Hemicellulosen, Pektine und Cellulose sind die bedeutendsten Strukturkohlenhydrate, die mehr (Hemicellulosen, Pektine) oder weniger (Cellulose) gut verdaulich sind.

ADF: "Saure Detergentien Faser" ("Acid Detergent Fiber")
Diese Fraktion umfasst die im Futter enthaltene Cellulose und das Lignin, zusammen auch bezeichnet als Lignocellulose. Die Differenz zwischen den analytisch erfassten Gehalten an NDF und ADF stellt den Gehalt an Hemicellulosen dar. Aus der Differenz zwischen ADF und ADL wird der Gehalt an Cellulose errechnet. Die Verdaulichkeit der Hemicellulosen liegt beim Kaninchen im Mittel zwischen 25 und 35 %, die der Cellulose zwischen 15 und 18 %.

ADL: "Saures Detergentien Lignin" ("Acid Detergent Lignin")
Mit dieser Fraktion wird in der chemischen Analyse das Lignin erfasst. Über die Differenz zwischen dem Gehalt an ADF und ADL wird der Gehalt an Cellulose in einem Futtermittel bestimmt. Die Verdaulichkeit des Lignin wird in der Literatur mit im Mittel 10 bis 15 % angegeben.

Für die ausgewogene Ernährung der Kaninchen und Sicherstellung einer stabilen, sicheren Verdauung in Blind- und Grimmdarm hat Gidenne (2000) die Fraktion "verdauliche Faser" definiert:

DF: "Verdauliche Faser" ("Digestible Fiber")
Die Fraktion "verdauliche Faser" wird nach Gidenne (2003) aus der Summe der beiden Fraktionen "Hemicellulose" (NDF - ADF) und "wasserunlösliche Pektine" (WIP - water insoluble pectins) ermittelt. Pektine weisen beim Kaninchen mit 70 bis 76 % eine sehr hohe Verdaulichkeit auf.

Empfohlene Gehalte im Futter

Gidenne und Lebas (2002) schlussfolgern aus der Auswertung umfangreicher wissenschaftlicher Untersuchungen, dass eine gesunde Verdauung speziell in der Absetzphase deutlich von der Menge und der Qualität der Lignocellulose (ADF) im Futter abhängt. Diese Untersuchungen zeigen außerdem, dass weniger Verdauungsstörungen auftreten, wenn höhere Stärkekonzentrationen im Futter durch adäquate Gehalte an "verdaulicher Faser" ersetzt werden. Hintergrund ist der Einfluss der verdaulichen Faser, nach Definition die Summe aus Hemicellulose und wasserunlösliche Pektine, auf die Fermentation im Blind- und Grimmdarm wie auch auf die Passagerate des Verdauungsbreies. Allerdings ist der Gehalt an verdaulicher Faser auch im Verhältnis zu Lignin und Cellulose zu betrachten. So sollen laut den Auswertungen von Gidenne und Lebas (2002) zur Reduzierung des Erkrankungsrisikos im Futter mehr als 15 % Lignocellulose (Abbildung 1) enthalten sein und ein Verhältnis "verdauliche Faser zu Lignocellulose" kleiner 1,3 eingehalten werden (Abbildungen 1 und 2). Die französischen Wissenschaftler definieren dabei das "Erkrankungsrisiko (ER)" als die Summe aus Erkrankungs- und Verlustrate aufgrund von Durchfallerscheinungen.

Abbildung 1: Erkrankungsrisiko (ER) beim wachsenden Kaninchen vom 28. bis 70. Lebenstag in Abhängigkeit vom Gehalt an ADF im Futter

Abbildung 2: Erkrankungsrisiko (ER) beim wachsenden Kaninchen vom 28. bis 70. Lebenstag in Abhängigkeit vom Verhältnis DF/ADF im Futter (bei ADF >15%)

Gidenne und Lebas (2002) betonen, dass die "verdauliche Faser" nicht nur Vorteile für die Darmgesundheit hat. Die Fraktion kann vom Kaninchen auch energetisch sehr gut für Wachstum genutzt werden. Dies setzt aber unbedingt die vorstehend beschriebene ausreichende Versorgung mit Lignocellulose voraus. Allerdings sollte der Gehalt an Lignocellulose auch nicht über 25 % im Futter liegen, da dann das Kaninchen die Futteraufnahme nicht mehr so weitgehend steigern kann, dass die für gute Leistung erforderliche Energieversorgung sichergestellt ist. Die verdauliche Faser scheint außerdem eine stimulierende Wirkung auf die Entwicklung der Blinddarmflora im Jungkaninchen zu haben.

Hinsichtlich der optimalen Unterstützung der Darmgesundheit ist außerdem auch auf das Lignin zu achten. So stieg in Untersuchungen am INRA das Erkrankungsrisiko der wachsenden Kaninchen an, wenn der Ligningehalt im Futter deutlich unter 5 % reduziert wurde (Abbildung 3). Allerdings kann ein weit über 5 % hinausgehender Ligningehalt zu verringerten Zuwachsleistungen führen. Gidenne (2003) empfiehlt daher für wachsende Kaninchen eine tägliche Ligninmenge von 5 bis 7 g bei einer Cellulosemenge von 11 bis 12 g je Tag.

Abbildung 3 : Erkrankungsrisiko (ER) beim wachsenden Kaninchen vom 28. bis 70. Lebenstag in Abhängigkeit vom Gehalt an Lignin im Futter

Die französischen Wissenschaftler haben aus diesen und weiteren Untersuchungen die in Tabelle 1 dargestellten Empfehlungen zu Gehalten an den verschiedenen Strukturkohlenhydraten und Stärke im Kaninchenfutter abgeleitet. Umfassende Empfehlungen liegen für die Aufzucht- bzw. Mastphase vor. Für die Häsin sind bisher nur Daten zum Gehalt an Lignocellulose und zum Verhältnis "Lignin zu Cellulose" veröffentlicht.

Gidenne und Lebas (2002) empfehlen, bei der Zusammenstellung eines auf Leistung und optimale Unterstützung der Darmgesundheit ausgerichteten Kaninchenfutters besonders die folgenden, in Tabelle 1 näher erläuterten Eckwerte zu beachten:

  • Mindestgehalt an Lignocellulose (ADF) und Lignin (ADL) als Maß für die Qualität der Lignocellulose

  • Menge der verdaulichen Faser (DF) im Vergleich zur Lignocellulose (ADF) über das Verhältnis "DF/ADF"

  • Menge und Herkunft der Stärke (speziell in der Absetzphase)
Die Berücksichtigung dieser Empfehlungen zu Gehalten an Strukturkohlenhydraten ist speziell bei der Herstellung von Kaninchenfutter für die Absetzphase sehr wichtig. Auch deutsche Praxiserfahrungen in der landwirtschaftlichen Kaninchenfleischerzeugung sowie in der Rassezucht zeigen, dass mit einer derart ausgerichteten, diätetisch hochwertigen Fütterung gute Erfolge hinsichtlich der Gesunderhaltung im Darm bei guten Zuwachsleistungen und optimaler Zuchtkonditionierung der Häsinnen erzielt werden können (Kleine Klausing und Matthes, 2000; Kleine Klausing, 2001).

Gehalte an Strukturkohlenhydraten in Komponenten

Damit diese Werte bei der Zusammenstellung eines Kaninchenfutters auch entsprechend berücksichtigt werden können, sind in der Tabelle 2 für verschiedene Kaninchenfutterkomponenten u.a. die Gehalte an NDF, ADF, ADL, wasserunlösliche Pektine (WIP) sowie die daraus berechnete verdauliche Faser (DF) dargestellt.

Fazit

Die eingangs gestellte Frage, ob wir uns in der Kaninchenfütterung von der Rohfaser verabschieden müssen, kann mit "nein, aber ...." beantwortet werden. Es sollten ergänzend die Bewertungskriterien für die Zusammensetzung der Rohfaser und der Kohlenhydrate im Kaninchenfutter erweitert werden. Einen Fortschritt hinsichtlich der besseren Unterstützung der Verdauungsabläufe im Blind- und Grimmdarm der Kaninchen stellt die Beachtung der französischen Empfehlungen zu Gehalten an Lignocellulose, verdauliche Faser und Stärke im Futter speziell für die Absetzphase und die Mast dar. Es steht zu hoffen, dass die französischen Wissenschaftler in den nächsten Jahren auch für Häsinnen entsprechende Empfehlungen herausgeben.

Literaturverzeichnis

Gidenne, T. (2000): Recent advances in rabbit nutrition: Emphasis on fibre requirements. A review.
World Rabbit Science 8 (1), 23-32

Gidenne, T.; Lebas, F. (2002): Role of dietary fibre in rabbit nutrition and in digestive troubles prevention
in: 2nd Rabbit Congress of the America, Habana City, Cuba, June 19-22, 2002; 47-59

Gidenne, T. (2003): Fibres in rabbit feeding for digestive troubles prevention: respective role of low-digested and digestible fibre
Livestock Production Science 81, 105-117

Kleine Klausing, H.; Matthes, K. (2000): Vorbeugen durch systematische Ernährung?
DGS 52, 60-63

Kleine Klausing, H. (2001): Ausgewogene Basisfütterung
Deutscher Kleintier-Züchter 110, 28-31

Maertens, L.; Perez, J.M.; Villamide, M.; Cervera, C. ; Gidenne, T. ; Xiccato, G. (2002): Nutritive value of raw materials for rabbits: Egran Tables 2002
World Rabbit Science 10 (4), 157-166

van Soest, P.J.; Robertson, J.B.; Lewis, B.A. (1991): Methods for dietary fibre, neutral detergent fibre and non starch polysaccharids in relation to animal nutrition
Journal of Dairy Science 74, 3583-3597

Mai 2004